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Eine Diskussion, die ich häufig und kontrovers führe, betrifft das berühmte halbvolle bzw. halbleere Glas.

Ja, was ist es denn nun?

„Halbvoll!“, rufen die Vertrauensseeligen, eingefleischten Optimisten oder Satten.

„Halbleer!“, sagen die Skeptiker, Suchenden oder Hungrigen.

„Beides“, erwidert die Mehrheit, zu der auch ich gehöre, aber man dürfe sich eben nur auf eine Hälfte konzentrieren (und hier unterscheide ich mich von der Mehrheit).

Und dann beginnt die Diskussion von vorne.

 

Die einen behaupten, wenn sie sich auf die leere Hälfte konzentrierten, würde es ihnen Energie rauben und ein andauerndes, wenig konstruktives Gefühl des Mangels schwebte über allem.

Die anderen sagen, sie könnten nie etwas ändern und voranbringen, wenn sie sich nur im Schein des halbvollen Glases suhlten. Sie müssten genau hinschauen und sich mit der leeren Hälfte auseinandersetzen, um eben diese Leere weitestgehend füllen zu können.

Es gibt aber auch diejenigen, für die es genau umgekehrt ist: Das halbleere Glas ist das der Möglichkeiten, das Raum lässt, sich zu entfalten, wohingegen das halbvolle bereits ge- und belebt und damit gar nicht mehr so interessant ist.

 

Für mich ist die bewusste Sicht auf beide Hälften wichtig. Ich brauche die Balance und muss mir über das ganze Glas im Klaren sein, um mit diesem bestmöglich umgehen zu können. Ich brauche die Energie des halbvollen Glases und des Erreichten genauso, wie den Ansporn des halbleeren Glases und der Möglichkeiten. Alles andere bzw. ein zu starkes Ungleichgewicht der Betrachtungsweise lässt mich entweder zu „satt“ und träge werden oder entmutigt mich.

Aber das funktioniert nicht für alle. Keine der Lösungen funktioniert für alle.

 

 

Zum Glück, denn so unterschiedlich wir sind, so individuell dürfen unsere Lösungen sein. Verschiedene Dinge motivieren uns, und genauso verschieden ist das, was uns Energie gibt oder uns resignieren lässt.

Manche von uns laufen zu Bestform auf, wenn sie ein Zugpferd haben, jemanden, der immer ein kleines Stückchen weiter ist als sie selbst. Andere, wenn sie immer einen kleinen Vorsprung haben, und die Nächsten performen am erfolgreichsten, wenn sie mit vielen gleichauf sind.

 

Richtig oder falsch gibt es hier nicht, dafür viele Möglichkeiten und davon kann man individuell die beste für sich wählen. Die, mit der man sich am wohlsten fühlt und damit auch die, mit der man die besten Ergebnisse für sich selbst (und oft auch das Umfeld) erzielt.

 

Wichtig ist einzig und allein, mir darüber bewusst zu werden, wie ich am besten mit den halbleervollen Gläsern, die mir zwangsläufig im Laufe des Lebens zuhauf begegnen, umgehen soll.

 

Ein Blick auf die Biografie und den bisherigen Umgang mit dem Thema sowie auf die Folgen meines Verhaltens kann dabei oft hilfreich sein. Hier finde ich Hinweise, in welchen Situationen ich mich auf welche Glashälfte konzentrieren sollte oder ob es überhaupt einen Favoriten geben darf. 

Biografische Bewusstheit funktioniert hier (und längst nicht nur hier) als eine Art Seismograf und Kompass.

 

Bin ich mir meiner selbst und der zu mir am besten passenden Vorgehensweise bewusst, werden sich immer mehr halbleervolle Gläser in fast oder ganz volle und dennoch Raum lassende Gläser verwandeln lassen. Und zwar immer leichter, gezielter und schneller.

 

Und genau danach – darüber herrscht große Einigkeit – streben wir in der Regel.

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